In der Literaturwissenschaft liegt dem Terminus des „Standorts“ die Vorstellung einer bestimmbaren Position zugrunde, welche eine erzählende Instanz zu den von ihr erzählten Geschehnissen einnimmt. Zum einen impliziert das eine Distanznahme, zum anderen eine Form von Parteilichkeit. In dieser doppelten Definition eignet er sich in besonderer Weise, um sich der Schreibweise Anna Seghers’ zu nähern. Denn bei Seghers sind die transitorischen Bewegungen im Raum, die Rastlosigkeit, das Fliehen und Entkommen stets an die poetische und politische Frage nach einer Positionierung gebunden. Dadurch gerät auch das realistische Primat der Repräsentation in Bewegung: Nicht nur was, sondern von wo aus erzählt wird, strukturiert die Fiktion.
Der Workshop fokussiert die Frage nach dem Standort und der Funktion des Erzählens vor dem Hintergrund der politischen Krisenerfahrungen der 1930er und 1940er Jahre, wobei medienhistorischen Voraussetzungen, geschlechtergeschichtliche Konfliktverhältnissen und das Verhältnis von Poetik und Theorie diesbezüglich ein besonderes Interesse zukommt.
Mögliche Fragestellungen, die sich hieraus ergeben, sind dann: Wie reflektiert das Werk Anna Seghers’ die Frage nach der Funktion des Erzählens in der Moderne? Welche literarische Kritik leistet sie an der Literatur ihrer Zeit? Mit welchen bzw. mit wessen Stimmen spricht Seghers’ Prosa und an welche ethischen oder politischen Positionen sind diese geknüpft? Wie überträgt sich die Topografie von Flucht und Exil in die Topologie des Erzählens? Inwiefern artikuliert sich in den Texten eine weibliche Position – ein ‚Standort der Erzählerin‘ –, und welche Realität wird dadurch sichtbar? Welchen Standort nimmt Seghers’ Schreibweise in den Realismen des 20. Jahrhunderts ein.
Programm:
14:00 Till Breyer/Philipp Weber (Bochum): Einführung
14:20 Bettine Menke (Erfurt): Im Transit
Moderation: Nina Janz (Aachen)
- Kaffeepause -
15:20 Doerte Bischoff (Hamburg): Überleben schreiben: Briefe und Erzählstruktur bei Anna Seghers
16:10 Christoph Schaub (Vechta): Die Pluralisierung des Standorts und das „Geschlecht der Revolution“ in Anna Seghers’ Auf dem Wege zur amerikanischen Botschaft
Moderation: Matthias Preuß (Bochum)
- Kaffeepause -
17:20 Cornelia Arbeithuber (Hamburg): Anna Seghers im Exil: Zu den mexikanischen Erzählungen
18:10 Till Breyer/Philipp Weber: Schnitt der Geschichte: Der Realismus des Ausflugs der toten Mädchen
Moderation: Dorothea Walzer (Bochum)
Mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der RUB. - Gäste und Zuhörer:innen sind herzlich willkommen.
ZEIT: 26. April 2024, ab 14.00 Uhr
ORT: Ruhr-Universität Bochum
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an till.breyer@rub.de